Wie gehen Gastronomen mit der Situation nach der Lockerung der Lockdown-Massnahmen um? Wie fühlt es sich an in einem Lokal mit all den vorgeschriebenen Einschränkungen? Wir haben bei der ersten Möglichkeit einen Augenschein – und natürlich mehr – im Jägerhof in St.Gallen genommen.

Von Stefan Millius
Die Ostschweiz – 11. Mai 2020

Der Raum wirkt luftig-leicht und grosszügig. Kein Wunder, drei Tische mussten gegenüber der Normalsituation weichen. Agron Lleshi, Gastgeber im Jägerhof in St.Gallen, ausgezeichnet mit 17 Gault-Millau-Punkten und einem Michelin-Stern, heisst uns am Eingang willkommen. Er trägt eine Schutzmaske, das Personal auch; den Gästen bleibt das erspart.

Drei Wochen vor dem Lockdown erhielt Lleshi seinen Michelin-Stern. Danach sei er förmlich überrannt worden – bis er wie alle anderen Restaurants vorübergehend schliessen musste. «Der Zeitpunkt war natürlich ein bisschen tragisch», sagt der Spitzenkoch. Aber er wirkt keine Sekunde lang frustriert, im Gegenteil: Die Freude darüber, dass es jetzt wieder losgeht, ist ihm anzusehen.

Es ist Montag, der 11. Mai mittags um 12 Uhr, und die verbliebenen Tische sind ausnahmslos besetzt, alle exakt zwei Meter voneinander entfernt. Er sei sehr zufrieden mit den Reservationen, so Lleshi. Ihm kommt es nun wohl zugute, dass er überwiegend Stammgäste bei sich begrüssen kann. Und die scheinen förmlich auf den Moment gewartet zu haben.

Es ist der erste Einsatz des Personals unter den erschwerten Bedingungen, aber das ist diesem kaum anzumerken. Natürlich ist die Schutzmaske gewöhnungsbedürftig. Ansonsten aber ist die Atmosphäre gelöst, die Abläufe wirken bereits eingespielt. Zwei Tage zuvor habe sich das Team bis ins Detail auf den grossen Moment vorbereitet. «Und auch während der Schliessung haben unsere Leute immer wieder nachgefragt und Unterstützung angeboten, ich habe wirklich ein tolles Team, auf das ich mich verlassen kann», so Lleshi. Und ausnahmslos alle hätten sich darauf gefreut, dass es wieder losgeht.

Vorspeise: Riesenraviolo mit Frischkäse und Eigelb.

Das Team des Jägerhof hat die Zeit des Lockdowns für Renovationsarbeiten genutzt. Der Boden erstrahlt in neuem Glanz, die Fenstersimse wurden auf Vordermann gebracht. Und er habe als Familienvater die unerwartete Zeit mit den Kindern genossen, habe für einmal zuhause mehr gekocht und viele Stunden mit dem Nachwuchs im Wald und im Garten verbracht. Und Lleshi betätigte sich zudem als Tortenbäcker auf Bestellung, rund 20 Torten habe er bis zu den Ostern kreiert. Ganz konnte er es offenbar doch nicht lassen, Dritte zu verwöhnen.

«Für mich war immer klar, dass wir am 11. Mai wieder öffnen», sagt Lleshi. Er sei Unternehmer, er fand, er müsse das einfach in Angriff nehmen und Erfahrungen sammeln mit der neuen Situation. Einzelne Veränderungen hat er vorgenommen. Statt wie früher zwei Abendmenüs setzt er nun auf ein Menü sowie «à la carte». Damit wolle er den Besuch des Jägerhof auch den Leuten ermöglichen, die nach dieser Zeit vielleicht stärker aufs Geld achten müssen und statt eines Siebengängers einzelne Gänge geniessen wollen. Und auf die geplanten vier Wochen Sommerferien werde er auch verzichten, um die entgangenen Wochen aufzuholen.

Hauptgang: Gebratener Zander mit Diepoldsauer Spargeln.

Wir entscheiden uns für den Businesslunch, wobei wir das Desset auslassen müssen. Agron Lleshi gehört zu den Spitzenköchen, bei denen man auch wirklich satt wird. Und vielleicht muss man sich auch als Gast zuerst wieder an den Luxus mehrerer Gänge gewöhnen.

«Grossmutters Küche neu interpretiert»: So umschreibt Agron Lleshi seine Arbeit. Eine einfache, ehrliche Küche, bei der man weiss, was auf dem Teller liegt – aber mit viel Raffinesse umgesetzt. Seine ursprüngliche Positionierung und sein Konzept haben ihm die Situation wohl erleichtert, wie er selber weiss. «Es ist für uns einfacher als für viele andere Restaurants, den Abstand zwischen den Tischen einzuhalten», so Lleshi, «und wir können wirtschaftlich arbeiten, wenn unsere acht Tische besetzt sind.» Diesbezüglich sehe es gut aus, gleich nach Ankündigung der Wiedereröffnung seien Reservationen eingegangen – wohl auch dank der treuen Stammkundschaft, die über 80 Prozent der Gästeschar ausmacht. «Die Leute haben förmlich darauf gewartet, dass es wieder losgeht», ist er sich sicher.

Hauptgang: Lammnierstück auf Senfpolenta.

Für den ersten Tag nach dem Zwangsstopp habe er bei den Menüs genau so geplant wie zuvor. Einzelheiten mögen dem wiederkehrenden Gast auffallen. Beispielsweise die Pralinenauswahl, die früher auf einer grossen Platte angeboten wurde, von der man sich bedienen konnte. Das ist angesichts der Pandemie derzeit nicht möglich, die einzelnen Pralinen werden auf einem Tellerchen klassisch serviert.

Aber ansonsten ist der Jägerhof in St.Gallen vermutlich eines der Restaurants, die von ihrer Ausrichtung her am besten mit der neuen Situation umgehen können. Die Qualität der Speisen und die Ästhetik auf den Tellern ist jedenfalls mit Sicherheit nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Der erste Lokalbesuch, der nach Wochen der gastronomischen Zwangspause wieder möglich war, war ein Fest für die Sinne. Und es wurde deutlich, dass das Essen auswärts eben ein Erlebnis ist, das fehlt, wenn es wegfällt. Vielleicht hat uns das Ganze also im Sinn der vermehrten Wertschätzung also sogar gut getan. Aber wiederholen müssen wir den Lockdown dennoch nicht.

Pralinen zum Abschluss.

Quelle: Die Ostschweiz 

Agron Lleshi vom St.Galler «Jägerhof» ist der Neue unter den Ostschweizer Sterneköchen: «Nach dem Telefon kamen mir die Freudentränen»

TAGBLATT – 24.02.2020

Agron Lleshi vom St.Galler «Jägerhof» ist der Neue unter den Ostschweizer Sterneköchen: «Nach dem Telefon kamen mir die Freudentränen»

Er hat schon die Lehre im «Jägerhof» absolviert und nach der Ära von Vreni Giger das Restaurant übernommen: Agron Lleshi hat sich von 15 auf 17 Gault-Millau-Punkte hochgekocht und jetzt für seine Kochkunst auch noch einen Michelin-Stern erhalten.

Text: Christa Kamm-Sager

Wir gratulieren zu Ihrem Michelin-Stern! Wie haben Sie von dieser Auszeichnung erfahren – ist es tatsächlich so eine riesige Spannung wie im Film «Madame Mallory und der Duft von Curry» wunderbar gezeigt wird?

Agron Lleshi: Ich kenne diesen Film und ja, es ist wirklich sehr ähnlich. Am Freitagmittag, um 12.15 Uhr, mitten im Mittagsstress, hat das Telefon geläutet und Melanie Fink, mein Chef de Service, hat es abgenommen. Sie stürmte in die Küche, hielt mir das Telefon ganz aufgeregt hin und sagte nur «Michelin ist dran». Ich wurde dann ganz freudig am Telefon über den Stern informiert und ins Tessin eingeladen.

Ich muss gestehen, nach diesem Telefon kamen mir die Freudentränen und ich musste mich für fünf Minuten ins Büro zurückziehen.

Dann musste ich aber wieder in die Küche, wir hatten ja volles Haus. Vor meinen Mitarbeitern konnte ich die Neuigkeiten nicht verbergen, ich habe keine Geheimnisse vor ihnen und schliesslich haben alle zusammen an diesem Erfolg mitgewirkt. Sie mussten die Neuigkeit aber eisern alle für sich behalten bis Montagabend. Zum Glück war auch meine Mutter zu diesem Zeitpunkt da, für sie ist das auch ein wichtiger Moment.

Was freut Sie mehr, der 17. Gault Millau-Punkt oder jetzt der erste Stern?

Es hört einfach nicht auf mit den Auszeichnungen… Jedes Jahr ein neuer Punkt und jetzt noch dieser Stern! Schon beim 17. Punkt war ich sehr happy, der Stern ist jetzt aber noch eine ganz andere, emotionale Angelegenheit. Ich bin jetzt gerade mit meinem besten Freund Lukas Indermühle im Auto unterwegs ins Tessin an die Feier und ich kann Ihnen sagen, es ist eine sehr freudige, lustige Fahrt!

Haben Sie bewusst auf den Stern hingearbeitet – kann man das überhaupt?

Nein, bewusst haben wir nicht auf den Stern hingearbeitet. Auf die 17 Punkte schon.

Es war immer mein Ziel, dem Jägerhof wieder die 17 Punkte zurückzugeben, die er schon mal hatte. Es ist unglaublich schön, nun auch noch den Stern in den Jägerhof geholt zu haben. Es ist eine riesige Bestätigung!

Ich koche für alle gleich, ob Stammgast oder einen Fremden, der auch ein Michelin-Testesser sein könnte.

Wird man also tatsächlich geheim geprüft?

Ja, das ist so. Zu Beginn im Jägerhof habe ich immer gerätselt, wenn jemand zu uns kam, den ich nicht kannte, ob es wohl ein Tester sein könnte. Die letzten zwei Jahre habe ich mir aber keine Gedanken mehr darüber gemacht. Ich weiss aber, dass wir mehrmals getestet worden sind. Wann genau, werde ich am Montagabend wohl an der Feier im Tessin erfahren und den Bericht der Tester lesen können.

Wie feiern Sie diese Auszeichnung?

Am Montagabend werden die ausgezeichneten Köche zusammen im Tessin nach der offiziellen Feier etwas zusammensitzen und anstossen. Im Jägerhof haben wir schon am Freitagabend etwas gefeiert. Wir sind am Montagmittag losgefahren ins Tessin, es ist das erste Mal überhaupt, dass ich nicht im Jägerhof bin, obwohl er voll besetzt ist. Dank meinen superguten Mitarbeitern ist das möglich. Ich muss aber nach dem Tessin am gleichen Abend wieder zurückfahren. Am Dienstag wird im Restaurant viel los sein.

Sie waren vorher schon der beste Einzelkoch St.Gallens, was ändert dieser Stern jetzt für Sie und den Jägerhof?

Der Stern ist eine Bestätigung und eine internationale Auszeichnung. Je mehr Auszeichnungen ein Restaurant hat, desto mehr Gäste kommen. Das ist schön, ich liebe Gäste! Ich begrüsse immer alle persönlich und frage nach dem Essen nach, ob die Gäste zufrieden sind. Das Restaurant war nicht nur ein Traum von mir, sondern es ist eine Herzensangelegenheit!

Was halten Sie von den neuartigen Food-Trends wie Insekten, im Labor hergestelltes Fleisch oder der veganen Küche?

Ich halte nichts von alledem. Vegetarisch kochen ist kein Problem, da kann ich auch einen Siebengänger auf den Tisch zaubern.

Aber ich glaube nicht, dass bei mir je Insekten auf den Teller kommen werden. Wir haben so schöne und gute Produkte aus der Region, da brauche ich keine Insekten.

Es muss aber auch nicht immer nur Rindsfilet sein. Ich koche das, was ich selber auch gerne esse. Und Insekten habe ich noch nie probiert.

Welches sind Ihre weiteren Pläne für den «Jägerhof»?

Die 17 Punkte und der Stern sind jetzt mal sehr schön, die muss man ja jedes Jahr wieder bestätigen lassen. So, wie es jetzt ist, ist es gut. Ich möchte meinen «Jägerhof» behalten als Edeladresse. Ich werde mich darauf konzentrieren und nicht vergrössern.

Wir bilden hier Lehrlinge aus und haben diesen Erfolg zusammen mit den Lehrlingen geschafft, das macht mich stolz.

Ich möchte auch weiterhin meine Gäste persönlich begrüssen und für sie die Pralinen, die es zum Kaffee gibt, höchstpersönlich selber machen.

Mit dem Gault Millau 2020 ist es offiziell: Agron Lleshi ist der beste Einzelkoch St.Gallens. Unbeirrt hat er sich von 15 zu 17 Punkten hochgekocht, sodass er jetzt quasi im Olymp angekommen ist.

Who’s who der Ostschweiz – LEADER vom Dezember 2019

Eine Frage der Stimmigkeit

Mit dem Gault Millau 2020 ist es offiziell: Agron Lleshi ist der beste Einzelkoch St.Gallens. Unbeirrt hat er sich von 15 zu 17 Punkten hochgekocht, sodass er jetzt quasi im Olymp angekommen ist. Mehr Punkte strebt er nicht an, zu einem Michelin-Stern würde er allerdings nicht Nein sagen. Luxus ist im Lokal des 34-Jährigen an der Brühlbleichestrasse omnipräsent.

Text: Stephan Ziegler
Bilder: Daniel Ammann

Die Olmazeit ist gerade vorbei, als wir uns in Agron Lleshis «Jägerhof» zum Gespräch treffen. «Die Zeit war hektisch, aber schön», freut sich der Stadt-St.Galler über die zehn Tage «Full House» während der Olma. Wobei er auch ausserhalb der Messezeiten nicht klagen kann: Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass im «Jägerhof» gut gekocht wird, sehr gut sogar. Der Gault Millau 2020 schwärmt zur Verleihung des 17. Punktes etwa: «Agron Lleshi legt nochmals zu. So brillant wie seine Vorgängerin ist er schon länger, aber jetzt hat sich der junge St. Galler mit kosovarischen Wurzeln von seiner Vorgängerin freigekocht. Er hat den ‚Jägerhof’ ringsum entstaubt, neue Teller und neues Besteck angeschafft und den Weinkeller neu bestückt. Wir arbeiteten uns kreuz und quer durch die beiden Menüs ‚Aus der Region’ und ‚Aus der Ferne’ und waren sehr beeindruckt – alles war perfekt getimt, elegant präsentiert und hervorragend gekocht. Und erst noch preiswert: Man isst im ‚Jägerhof’ heute günstiger als zu Vreni Gigers Zeiten.»

Leidenschaft als Beruf

Von Giger hat sich Lleshi, der schon seine Lehre im «Jägerhof» absolviert hat, längst emanzipiert. Seit er das Lokal vor drei Jahren übernommen hat, hat er sich aus eigener Kraft in den Kocholymp katapultiert – mit 15, dann 16 und jetzt 17 Gault-Millau-Punkten. «Mehr müssen es aber wirklich nicht sein», sagt er bescheiden. Nur einen Stern im Guide Michelin würde ihn noch reizen, wegen der Publizität: «Je mehr Auszeichnungen, desto mehr Aufmerksamkeit.» Und Aufmerksamkeit kann die Spitzengastronomie gut gebrauchen, das Geld sitzt nicht mehr ganz so locker, der Gast will umworben werden. Das tut Lleshi automatisch; er ist ein Menschenfreund, der nicht kocht, weil er muss, sondern weil er will. Er hat damit seine Leidenschaft zum Beruf gemacht, für ihn gab es nie etwas anderes als kochen, auch in der spärlichen Freizeit lässt er es sich nicht nehmen, zuhause für Familie und Freunde zu kochen. «Ein Luxus, den ich mir zuhause gegönnt habe, ist ein riesiger Esstisch für zwölf Personen, aus Eiche, da kommen wir gerne mit Freunden zusammen.»

Man glaubt es kaum, dass der Vielbeschäftigte noch Zeit und Lust hat, in der Freizeit zu kochen, doch: «Das ist mein Leben.» Die Familie – Lleshi hat vier Kinder, die Zeit mit ihnen und seiner Frau ist ihm heilig; er sieht sie während jeder Zimmerstunde und schliesst sein Lokal während der Feiertage, um bei seiner Familie zu sein – hält ihm dabei den Rücken frei, sonst ginge das gar nicht, weiss er; seine Mama etwa hilft in der Küche, wo gerade Not am Mann ist. «Und sie backt unsere Brötli für den Abend, keiner macht so gute wie sie.» Das ist symptomatisch für den «Jägerhof» – hier wird alles frisch zubereitet, sogar die Pralinés zum Schluss, die macht Lleshi tatsächlich himself. Oder, wenn wir schon beim Schluss sind: Seine Kaffeeröstung etwa gibt’s nur im Jägerhof, Lleshi bekommt sie von einem Toxikologen aus Rotmonten, der dort privat röstet. Natürlich kommt der Kaffee aus einer Siebträgermaschine im Gegenwert eines Kleinwagens, den Schaerer-Automaten von früher hat Lleshi abgestossen.

Liebe zum Detail

Diese Liebe zum Detail zieht sich durch den ganzen Jägerhof, und zwar nicht nur in der Küche: Luxus ist für Lleshi auch, den kleinen Dingen grosse Aufmerksamkeit zu schenken. Er kann zu jedem Teller, zum Besteck, ja zu jeder Vase eine Geschichte erzählen; man legt die gezeigte Assiette vorsichtig wieder ab, wenn er den Preis erwähnt. Lleshi wählt also alles selbst aus, und zwar nicht mit dem Auge auf dem Preisschild, sondern auf der Stimmigkeit. Das geht so weit, dass er den Jägerhof durch Bilder des Rorschacher Künstlers Peter Hirzel verschönern liess – «den Zyklus ‚Bewegung’ hat er extra für mich gemalt», sagt Lleshi stolz und weist einen darauf hin, dass auch die Schilder an den Toilettentüren Hirzel-Unikate sind. Und selbst die Badarmaturen fanden auf TripAvisor bewundernde Anerkennung, «ich habe nicht einmal gewusst, was ich da auswähle, mir hat einfach das Design gefallen». Die Toiletten hat er komplett neu gestaltet, auch hier war nur das Beste gut genug, dabei ging ihm, natürlich, sein Zwillingsbruder Anton zur Hand, der selbstständiger Sanitärler in Goldach ist.

«Das ist für mich auch Luxus, dass ich mein Restaurant so ausstaffieren kann, wie ich es will», sagt er, und man glaubt es ihm aufs Wort, nichts ist hier dem Zufall überlassen, und trotzdem wirkt nichts steif, unnahbar oder aufgesetzt – im Gegenteil, die Gäste werden herzlich empfangen und ebenso verabschiedet, mit Handschlag, ob sie nun im Anzug oder in Jeans speisen. Apropos Gäste: Es seien bei Weitem nicht nur Ältere und Manager, die bei ihm essen, sondern vermehrt auch Jüngere. Also nicht nur Fast Food für die Millennials? «Ganz und gar nicht, man gönnt sich auch in jungen Jahren den Luxus eines guten Essens.» Leisten muss man sich das wohl können, wobei Lleshi nach der Übernahme des Jägerhofs 2016 die Preise korrigiert hat – und zwar nach unten. Jetzt ist er, eigentlich, zu günstig für das Gebotene, aber es passt zu Lleshis einfacher, ungekünstelter und menschenorientierten Art.

Weder Chichi noch Schnickschnack

Das ist wohl auch ein Pfeiler seines Erfolgs: Dass er auch mit den Preisen nicht abgehoben ist. Nicht abgehoben ist er nämlich auch mit seinen Kompositionen, hier findet sich weder Chichi noch Schnickschnack, er geht sogar soweit, seine Küche als «Grossmutters Küche, neu interpretiert» zu bezeichnen. Ja, er sagt von sich, er koche wirklich einfach, das kann man kaum glauben bei 17 Punkten, aber es sei so: «Das Erfolgsrezept sind erstklassige Zutaten, die einfach, aber gut zubereitet und schön angerichtet werden.» Da dürfen auch mal Innererein auf der Menükarte stehen, alles aber immer schön arrangiert – denn das Auge ist ja bekanntlich mit. So etwa bei seinen Bottega-Veneta-Ravioli, die nach der gleichnamigen Luxusmarke aus Mailand benamst sind; die Idee dazu kam Lleshi in einem BV-Store, als er ähnlich geflochtene Lederschuhe studierte. «Auf keinen Fall wollen wir aber mehr scheinen als sein», betont Lleshi, ihm als Koch ist die Qualität der Produkte natürlich ebenso wichtig, da kennt er keine Kompromisse, ebenso wenig wie beim Ambiente.

Apropos Ambiente: Auch Raum ist ein Luxus, den man im Jägerhof findet, es gibt nur elf Tische und den Kitchen Table in der Küche, wo man den Köchen – es sind bis zu fünf – auf die Finger bzw. über die Schulter schauen kann. «Unsere Gäste schätzen den Platz, den sie haben, denn nicht immer möchte man, dass der Nebentisch mitbekommt, was gerade diskutiert wird», schmunzelt er und bezieht sich dabei sowohl auf Gespräche unter Bankern als auch auf Turteleien zwischen Liebenden.

Tagblatt vom 8.10.2019:

Noch eingeschweisst liegt der gerade erschienene «Gault-Millau»-Führer auf dem Tisch des «Jägerhof» im Osten von St.Gallen. Das Restaurant und sein Küchenchef Agron Lleshi wurden darin mit 17 von 20 möglichen Punkten ausgezeichnet. «Das ist bombastisch. Ich war beinahe geschockt und habe es erst gar nicht geglaubt», sagt der 34-Jährige. (…)

Lleshi drapiert vorsichtig eine grüne Kugel auf einen Teller. «Das ist ein Entenlebertörtchen mit Apfelvariation und Nüssen.» Auf der Ablage nebenan duften die von Lleshis Mutter gebackene Brötchen. Wer in sie beisst, wird von einem würzigen Rohschinkenstück überrascht. «Ich hatte noch gar keine Zeit, den Guide anzuschauen», sagt der Küchenchef. Online habe er von seinen jetzt 17 Punkten erfahren. «Seither wurde ich überhäuft mit Gratulationen, das Telefon läuft heiss. Ich konnte gar nicht alle Anrufe entgegennehmen.» An diesem Mittag ist das Restaurant ausgebucht – «trotz bevorstehender Olma», sagt Lleshi. Der Haupteingang der Messehallen ist gleich neben der etwas versteckten Eckbeiz.
Jedes Jahr einen Punkt mehr hinzugewonnen

Es sei eine wahnsinnig grosse Freude, dass er nun schon mit 17 Punkten ausgezeichnet wurde. 2016 hatte Lleshi das Lokal von seiner Lehrmeisterin und Starköchin Vreni Giger übernommen. 2017 vergab «Gault-Millau» dem neuen Küchenchef im «Jägerhof» 15 Punkte. Seither haben Lleshi und sein siebenköpfiges Team Jahr für Jahr einen Punkt dazugewonnen.

«17 Punkte waren schon mein Ziel, aber dass es so schnell gehen würde, ist fast unglaublich.»
Der «Gault-Millau»-Guide 2020 lobt ihn in den höchsten Tönen: «Agron Lleshi legt nochmals zu. So brillant wie seine Lehrerin und Vorgängerin Vreni Giger ist er schon länger, aber jetzt hat sich der junge St.Galler mit kosovarischen Wurzeln von der Vorgängerin freigekocht.» In der Rezension folgen Wörter wie elegant, hinreissend, exzellent oder vorzüglich. Ohne Frage, Lleshi ist der Senkrechtstarter in der St.Galler Gastroszene.

(…)

Text: Sandro Büchler

Quelle: Tagblatt

GaultMillau 2020:

Agron Lleshi legt nochmals zu. So brillant wie seine Lehrerin und Vorgängerin Vreni Giger ist er schon länger, aber jetzt hat sich der junge St. Galler mit kosovarischen Wurzeln von seiner Vorgängerin freigekocht. Er hat den «Jägerhof» ringsum entstaubt, neue Teller und neues Besteck angeschafft und den Weinkeller neu bestückt. Wir arbeiteten uns kreuz und quer durch die beiden Menüs «Aus der Region» und «Aus der Ferne» und waren sehr beeindruckt – alles war perfekt getimt, elegant präsentiert und hervorragend gekocht. Und erst noch preiswert: Man isst im «Jägerhof» heute günstiger als zu Vreni Gigers Zeiten.

Neben hinreissenden Amuse-bouches gab’s die gewohnt grosse Auswahl hausgemachter Brötli von Mutter Lleshi mit Nuss- und Bärlauchbutter sowie St. Galler Rapsöl mit Kräuteressenz. Dann schmeckte der marinierte Rindscarpaccio mit mediterranem Gemüsechutney, Senfkörnern, Rucola und Parmesan ebenso gut wie das gebeizte Lachstatar mit Gurke, Apfelstückchen und Dill. Superleicht und unglaublich aromatisch war die thailändische Tom Kha Gai mit Poulet, Kokosmilch, Koriander und Pilzen. Der gebratene Scampo mit Krustentierschaum und Radieschen verriet die sichere Hand eines klassisch geschulten Fischkochs. Und das Hechtsoufflé auf Spinat und Kohlrabi war so wunderbar ausgewogen wie die Bärlauch-Gnocchi mit Nüssen und hausgemachtem Fetakäse. Fürs nächste Highlight sorgte die Kreation von Trüffel, Kartoffelstock und gebackenem Eigelb! Lleshi ist aber auch ein exzellenter Pasta-Koch: Der geflochtene Schmorbraten-Raviolo mit Appenzeller Käse und Salbei war umwerfend, die Taleggio-Ravioli auf geschälten Peperoni mit Verjus hielten mit. Im Hauptgang wählten wir Fisch und Fleisch: einen vorzüglichen gebratenen Zander auf mediterranem Gemüse und mit Artischockenrisotto. Und ein ebenso gutes Dreierlei vom Kalb (in Rapsöl pochiertes Filet, gebratene Milken und Kartoffelstrudel mit Kalbsfarce), serviert mit weissen Spargeln, Rapssalat und einer Hollandaise.

Auch die kreativen Desserts sind überragend: zuerst ein Piña-Colada-Vordessert. Dann eine Panna cotta mit Batida de Coco, ein Ananassorbet, Rumschaum und geröstete Kokosflocken sowie eine ausgeklügelte Haferflocken-Rhabarber-Variation. Bei Lleshis selbst gemachten Pralinen zogen wir Fazit: Eine so starke Leistung verdient den 17. Punkt.

Quelle: GaultMillau

Agron Lleshi schreibt im Restaurant Jägerhof in St. Gallen fleissig an seiner eigenen Geschichte. Seine aufwendigen, aber zugänglichen Kompositionen werden jedes Jahr besser.

Geduldig und konzentriert flechtet Agron Lleshi daumenbreite Nudelbänder zu einem Karomuster. Daraus sticht er anschliessend seine stadtbekannten Ravioli und serviert diese zum Beispiel gefüllt mit einer Hechtfarce und begleitet von einem würzigen Ratatouille-Chutney. Ein wunderbar puristisches Gericht, das mehr ist, als es scheint, und seine Kraft erst im Gaumen voll entfaltet. Die Idee dazu kam dem 33-Jährigen übrigens in St. Moritz, genauer gesagt in der Bottega Veneta, als er ähnlich geflochtene Lederschuhe studierte.

«Ich wollte schon immer Koch werden», sagt Lleshi, der als Zehnjähriger aus dem Kosovo nach St. Gallen immigrierte. Im Alter von 15 heuerte er im Restaurant Jägerhof bei Vreni Giger als Lehrling an, mit 21 war er Souschef, mit 23 Küchenchef und 2016 übernahm er die Pacht des bekannten Gourmetlokals. Das erste Jahr sei nicht einfach gewesen, erinnert sich Lleshi. «Wir hatten keine Wertung und mussten uns erst einen neuen Namen schaffen.» Das ist ihm eindrücklich gelungen. Der Jägerhof läuft rund, auch dank langjährigen Mitarbeitern wie etwa Chef de Service Riad Burgmann, der seit über einem Jahrzehnt für das Wohl der Gäste sorgt.

Zuerst allerdings senkte Lleshi gleich mal die Preise. «Der Jägerhof galt als teures Restaurant, das wollte ich ändern.» Heute wählt der Gast frei aus zwei Menüs («aus der Region» und «aus der Ferne»). Das komplette Programm mit sieben Gängen kostet 155 Franken. Lleshis mittlerweile mit 16 Gault-Millau-Punkten bewertete Kompositionen sind zugänglich auf dem Teller, aber brutal aufwendig zu kochen. «Der Gast soll stets erkennen, was er isst.» Die im nahen Mörschwil gezüchtete Ribelmais-Poularde präsentiert der vierfache Vater etwa in Form eines Strudels, einer (grandiosen) Praline aus geschmortem Schenkelfleisch sowie einer mit Trüffel gespickten Brust in einer Kartoffelhülle. Auch die Patisserie sowie die eindrückliche Auswahl an Pralinen sind im Jägerhof Chefsache. «Ich habe keine Ausbildung dafür, aber ich denke, unsere Desserts und Friandises sind in den letzten drei Jahren einiges besser geworden.» Sicher ist: Der bekennende Geschirrfan («Wir haben das schönste Porzellan der Stadt») ist noch nicht fertig mit seinem Steigerungslauf: «Natürlich wollen wir irgendwann den 17. Punkt.»

Text: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier

Veröffentlicht: 14.05.2019 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2019

Spitzenköche wie Agron Lleshi setzen einen Kontrapunkt zu unserer schnelllebigen, gehetzten Welt. Sie zelebrieren Kochkunst als Ritual, als Ode an die Entschleunigung und der Achtsamkeit. Fast jede Gabel, jeder Löffel wird zu einem kulinarischen Erlebnis.

Alle haben ihm das vielleicht nicht zugetraut. Doch Agron Lleshi hat die Skeptiker Lügen gestraft. Lange hat der Chef des “Jägerhofs” nicht gebraucht, um aus dem Schatten von Vorgängerin und Starköchin Vreni Giger zu treten. Was er auftische, gehöre in der Ostschweiz bereits zur Champions League, schwärmte der “Gault-Millau” in seiner jüngsten Bewertung und verlieh Lleshi 16 Punkte. Wer beim 33-jährigen gebürtigen Kosovaren einkehrt, der zuvor sechs Jahre lang die rechte Hand von Giger war, merkt schnell, dass diese Lobeshymnen nicht übertrieben sind. Das wunderbar abgerundete Gesamtbild fängt bei der herzlichen Begrüssung an, geht über zu den verschiedenen äusserst schmackhaften Sorten Brot aus der eigenen Backstube und hört irgendwann auf beim üppig bestückten, umwerfenden Pralinentablett, das zum Espresso gereicht wird.

Ausgefeilte Präsentation
Die Speisen schmecken köstlich. Noch Tage später befinden sich einzelne Gänge in der kulinarischen Erinnerung, als wären sie erst gerade aufgetischt worden und als würde man sich nichts sehnlicher wieder wünschen. Wie beispielsweise die Kartoffel-Trüffelsuppe mit Kalbstatar, die getrüffelten Jakobsmuscheln auf Wurzelgemüse mit Krustentierschaum, der Rehrücken mit Griess-Marroni-Sauerkirschen und Mandelschaum oder das legendäre Trüffeltöpfli mit seiner raffinierten Leichtigkeit. Die ausgefeilte Präsentation der einzelnen Gänge mit den ausführlichen Erklärungen der Gastgeber wirken wie ein Kunstwerk.

Der Anspruch von Lleshi, aus einfachen Zutaten hervorragende Gerichte zu machen, wird bei jedem Gang ersichtlich. Der Küchenchef bietet mit seinem eingespielten Team abends jeweils zwei Menus an: “Aus der Region” und “Aus der Ferne”. Die einzelnen Bestandteile lassen sich variabel zusammenstellen und sind von zwei (80.-) bis sieben Gängen (155.-) erhältlich. Wir wählten drei beziehungsweise vier Gänge und waren rundum zufrieden, auch wenn wir gerade vom exzellenten Rehrücken noch so gerne eine etwas grössere Portion gegessen hätten. Sicher ist: In einem Restaurant wie dem Jägerhof muss man sich Zeit lassen. Vom Gruss aus der Küche bis zum letzten selbstgemachten Praliné vergingen an unserem Abend weit über vier Stunden. Und das wie im Flug.

Dabei setzen Spitzenköche wie Agron Lleshi einen Kontrapunkt zu unserer schnelllebigen, gehetzten Welt. Sie zelebrieren Kochkunst als Ritual, als Ode an die Entschleunigung und der Achtsamkeit. Fast jede Gabel, jeder Löffel wird zu einem kulinarischen Erlebnis. Das hat seinen Preis, ermöglicht aber eine ausgedehnte abendfüllende Erfahrung, die es nicht an vielen Orten gibt.

Jürg Ackermann

A – Wochenzeitung St.Galler Tagblatt vom 8. November 2018

GaultMillau 2019:

Der «Jägerhof» gehört in die Champions League St.Gallens. Agron Lleshi steht für eine aussergewöhnliche, saisonale Küche mit Ostschweizer Wurzeln aus regionalen Produkten. Der 31-Jährige hat ja auch bei Vreni Giger gelernt und jahrelang als Chef ihre Frischmarktküche geführt. Jetzt hebt er nach kurzer Anlaufzeit im «Jägerhof» ab.

Schon der Start vor dem Start zeigte, wie man hier die Gäste verwöhnt: Acht Sorten Brot wie schon bei Vreni Giger aus Mutter Lleshis Backstube; dazu zweierlei Butter, dreierlei Salz, würzige Tomaten- sowie herbe Chimichurri-Sauce und auch noch ein wunderbares Thurgauer Zitronen-Thymian-Rapsöl mit Thymianessenz. Als Amuse-bouche gab’s ein verspieltes «Magic Mushrooms»-Quartett mit essigsauren Röllchen an Wurzelgemüse, Buttermilchpralinen und Randenemulsion. Im Frühling durfte eine exzellente Bärlauchsuppe mit Bärlauchkuchen und Ziegenkäsepraline nicht fehlen. Genauso wenig wie die umwerfenden Kerbelwurzel-Gnocchi mit Senf und konfiertem Eigelbt. Oder das zarte Lammfilet mit Kräutercrêpe, Oliven und Spinat. Ebenso gut schmeckten die getrüffelten Jakobsmuscheln auf Lauch mit Kartoffelkuchen und Krustentierschaum – eine geglückte Hommage an die Tradition des Hauses.

Von der ehemaligen Chefin frei spielte sich Lleshi mit den noch im Winter verorteten Kreationen: mit einem Wurzelgemüse-Gersotto mit Bio-Ei und Meerrettich. Einem glasierten Pata-negra-Schweinebauch auf Sauerkraut-Ravioli. Und mit unserem Favoriten: gebratene Kalbsmilen zum “modernen” Waldorfsalat mit Selleriemousse, Stangensellerie als Gelee, Röllchen und Pulver, Röstsellerieglace, Apfelbällchen, Baumnüssen und Baumnuss-Mayonnaise. Raffiniert war auch die gebratene Riesencrevette mit dreieckigen Linsen-Kokosnuss-Törtchen, Linsen-Curry-Salat, Kokoscreme und dreierlei Knoblauch (karamellisiert, Mayonnaise, Pesto). Dagegen wirkte der fabelhaft gebratene Bodensee-Zander an Randenperlen und Speckschaum mit Speckchips fast einfach.

Die Pré-Desserts, Desserts, Friandises und Pralinen waren wie immer unwiderstehlich. Das Weinangebot wurde stark verschlankt, aber die aufgestellte junge Sommelière Jasmin Fritsche fand trotzdem den passenden Cru. Und Chef de service Riad Burgmann begleitete uns wie eh und je professionell durch den Abend.

Quelle: GaultMillau