Mit dem Gault Millau 2020 ist es offiziell: Agron Lleshi ist der beste Einzelkoch St.Gallens. Unbeirrt hat er sich von 15 zu 17 Punkten hochgekocht, sodass er jetzt quasi im Olymp angekommen ist.
Who’s who der Ostschweiz – LEADER vom Dezember 2019
Eine Frage der Stimmigkeit
Mit dem Gault Millau 2020 ist es offiziell: Agron Lleshi ist der beste Einzelkoch St.Gallens. Unbeirrt hat er sich von 15 zu 17 Punkten hochgekocht, sodass er jetzt quasi im Olymp angekommen ist. Mehr Punkte strebt er nicht an, zu einem Michelin-Stern würde er allerdings nicht Nein sagen. Luxus ist im Lokal des 34-Jährigen an der Brühlbleichestrasse omnipräsent.
Text: Stephan Ziegler
Bilder: Daniel Ammann
Die Olmazeit ist gerade vorbei, als wir uns in Agron Lleshis «Jägerhof» zum Gespräch treffen. «Die Zeit war hektisch, aber schön», freut sich der Stadt-St.Galler über die zehn Tage «Full House» während der Olma. Wobei er auch ausserhalb der Messezeiten nicht klagen kann: Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass im «Jägerhof» gut gekocht wird, sehr gut sogar. Der Gault Millau 2020 schwärmt zur Verleihung des 17. Punktes etwa: «Agron Lleshi legt nochmals zu. So brillant wie seine Vorgängerin ist er schon länger, aber jetzt hat sich der junge St. Galler mit kosovarischen Wurzeln von seiner Vorgängerin freigekocht. Er hat den ‚Jägerhof’ ringsum entstaubt, neue Teller und neues Besteck angeschafft und den Weinkeller neu bestückt. Wir arbeiteten uns kreuz und quer durch die beiden Menüs ‚Aus der Region’ und ‚Aus der Ferne’ und waren sehr beeindruckt – alles war perfekt getimt, elegant präsentiert und hervorragend gekocht. Und erst noch preiswert: Man isst im ‚Jägerhof’ heute günstiger als zu Vreni Gigers Zeiten.»
Leidenschaft als Beruf
Von Giger hat sich Lleshi, der schon seine Lehre im «Jägerhof» absolviert hat, längst emanzipiert. Seit er das Lokal vor drei Jahren übernommen hat, hat er sich aus eigener Kraft in den Kocholymp katapultiert – mit 15, dann 16 und jetzt 17 Gault-Millau-Punkten. «Mehr müssen es aber wirklich nicht sein», sagt er bescheiden. Nur einen Stern im Guide Michelin würde ihn noch reizen, wegen der Publizität: «Je mehr Auszeichnungen, desto mehr Aufmerksamkeit.» Und Aufmerksamkeit kann die Spitzengastronomie gut gebrauchen, das Geld sitzt nicht mehr ganz so locker, der Gast will umworben werden. Das tut Lleshi automatisch; er ist ein Menschenfreund, der nicht kocht, weil er muss, sondern weil er will. Er hat damit seine Leidenschaft zum Beruf gemacht, für ihn gab es nie etwas anderes als kochen, auch in der spärlichen Freizeit lässt er es sich nicht nehmen, zuhause für Familie und Freunde zu kochen. «Ein Luxus, den ich mir zuhause gegönnt habe, ist ein riesiger Esstisch für zwölf Personen, aus Eiche, da kommen wir gerne mit Freunden zusammen.»
Man glaubt es kaum, dass der Vielbeschäftigte noch Zeit und Lust hat, in der Freizeit zu kochen, doch: «Das ist mein Leben.» Die Familie – Lleshi hat vier Kinder, die Zeit mit ihnen und seiner Frau ist ihm heilig; er sieht sie während jeder Zimmerstunde und schliesst sein Lokal während der Feiertage, um bei seiner Familie zu sein – hält ihm dabei den Rücken frei, sonst ginge das gar nicht, weiss er; seine Mama etwa hilft in der Küche, wo gerade Not am Mann ist. «Und sie backt unsere Brötli für den Abend, keiner macht so gute wie sie.» Das ist symptomatisch für den «Jägerhof» – hier wird alles frisch zubereitet, sogar die Pralinés zum Schluss, die macht Lleshi tatsächlich himself. Oder, wenn wir schon beim Schluss sind: Seine Kaffeeröstung etwa gibt’s nur im Jägerhof, Lleshi bekommt sie von einem Toxikologen aus Rotmonten, der dort privat röstet. Natürlich kommt der Kaffee aus einer Siebträgermaschine im Gegenwert eines Kleinwagens, den Schaerer-Automaten von früher hat Lleshi abgestossen.
Liebe zum Detail
Diese Liebe zum Detail zieht sich durch den ganzen Jägerhof, und zwar nicht nur in der Küche: Luxus ist für Lleshi auch, den kleinen Dingen grosse Aufmerksamkeit zu schenken. Er kann zu jedem Teller, zum Besteck, ja zu jeder Vase eine Geschichte erzählen; man legt die gezeigte Assiette vorsichtig wieder ab, wenn er den Preis erwähnt. Lleshi wählt also alles selbst aus, und zwar nicht mit dem Auge auf dem Preisschild, sondern auf der Stimmigkeit. Das geht so weit, dass er den Jägerhof durch Bilder des Rorschacher Künstlers Peter Hirzel verschönern liess – «den Zyklus ‚Bewegung’ hat er extra für mich gemalt», sagt Lleshi stolz und weist einen darauf hin, dass auch die Schilder an den Toilettentüren Hirzel-Unikate sind. Und selbst die Badarmaturen fanden auf TripAvisor bewundernde Anerkennung, «ich habe nicht einmal gewusst, was ich da auswähle, mir hat einfach das Design gefallen». Die Toiletten hat er komplett neu gestaltet, auch hier war nur das Beste gut genug, dabei ging ihm, natürlich, sein Zwillingsbruder Anton zur Hand, der selbstständiger Sanitärler in Goldach ist.
«Das ist für mich auch Luxus, dass ich mein Restaurant so ausstaffieren kann, wie ich es will», sagt er, und man glaubt es ihm aufs Wort, nichts ist hier dem Zufall überlassen, und trotzdem wirkt nichts steif, unnahbar oder aufgesetzt – im Gegenteil, die Gäste werden herzlich empfangen und ebenso verabschiedet, mit Handschlag, ob sie nun im Anzug oder in Jeans speisen. Apropos Gäste: Es seien bei Weitem nicht nur Ältere und Manager, die bei ihm essen, sondern vermehrt auch Jüngere. Also nicht nur Fast Food für die Millennials? «Ganz und gar nicht, man gönnt sich auch in jungen Jahren den Luxus eines guten Essens.» Leisten muss man sich das wohl können, wobei Lleshi nach der Übernahme des Jägerhofs 2016 die Preise korrigiert hat – und zwar nach unten. Jetzt ist er, eigentlich, zu günstig für das Gebotene, aber es passt zu Lleshis einfacher, ungekünstelter und menschenorientierten Art.
Weder Chichi noch Schnickschnack
Das ist wohl auch ein Pfeiler seines Erfolgs: Dass er auch mit den Preisen nicht abgehoben ist. Nicht abgehoben ist er nämlich auch mit seinen Kompositionen, hier findet sich weder Chichi noch Schnickschnack, er geht sogar soweit, seine Küche als «Grossmutters Küche, neu interpretiert» zu bezeichnen. Ja, er sagt von sich, er koche wirklich einfach, das kann man kaum glauben bei 17 Punkten, aber es sei so: «Das Erfolgsrezept sind erstklassige Zutaten, die einfach, aber gut zubereitet und schön angerichtet werden.» Da dürfen auch mal Innererein auf der Menükarte stehen, alles aber immer schön arrangiert – denn das Auge ist ja bekanntlich mit. So etwa bei seinen Bottega-Veneta-Ravioli, die nach der gleichnamigen Luxusmarke aus Mailand benamst sind; die Idee dazu kam Lleshi in einem BV-Store, als er ähnlich geflochtene Lederschuhe studierte. «Auf keinen Fall wollen wir aber mehr scheinen als sein», betont Lleshi, ihm als Koch ist die Qualität der Produkte natürlich ebenso wichtig, da kennt er keine Kompromisse, ebenso wenig wie beim Ambiente.
Apropos Ambiente: Auch Raum ist ein Luxus, den man im Jägerhof findet, es gibt nur elf Tische und den Kitchen Table in der Küche, wo man den Köchen – es sind bis zu fünf – auf die Finger bzw. über die Schulter schauen kann. «Unsere Gäste schätzen den Platz, den sie haben, denn nicht immer möchte man, dass der Nebentisch mitbekommt, was gerade diskutiert wird», schmunzelt er und bezieht sich dabei sowohl auf Gespräche unter Bankern als auch auf Turteleien zwischen Liebenden.