Der Selbstversuch: Der erste Restaurantbesuch nach Wochen

Wie gehen Gastronomen mit der Situation nach der Lockerung der Lockdown-Massnahmen um? Wie fühlt es sich an in einem Lokal mit all den vorgeschriebenen Einschränkungen? Wir haben bei der ersten Möglichkeit einen Augenschein – und natürlich mehr – im Jägerhof in St.Gallen genommen.

Von Stefan Millius
Die Ostschweiz – 11. Mai 2020

Der Raum wirkt luftig-leicht und grosszügig. Kein Wunder, drei Tische mussten gegenüber der Normalsituation weichen. Agron Lleshi, Gastgeber im Jägerhof in St.Gallen, ausgezeichnet mit 17 Gault-Millau-Punkten und einem Michelin-Stern, heisst uns am Eingang willkommen. Er trägt eine Schutzmaske, das Personal auch; den Gästen bleibt das erspart.

Drei Wochen vor dem Lockdown erhielt Lleshi seinen Michelin-Stern. Danach sei er förmlich überrannt worden – bis er wie alle anderen Restaurants vorübergehend schliessen musste. «Der Zeitpunkt war natürlich ein bisschen tragisch», sagt der Spitzenkoch. Aber er wirkt keine Sekunde lang frustriert, im Gegenteil: Die Freude darüber, dass es jetzt wieder losgeht, ist ihm anzusehen.

Es ist Montag, der 11. Mai mittags um 12 Uhr, und die verbliebenen Tische sind ausnahmslos besetzt, alle exakt zwei Meter voneinander entfernt. Er sei sehr zufrieden mit den Reservationen, so Lleshi. Ihm kommt es nun wohl zugute, dass er überwiegend Stammgäste bei sich begrüssen kann. Und die scheinen förmlich auf den Moment gewartet zu haben.

Es ist der erste Einsatz des Personals unter den erschwerten Bedingungen, aber das ist diesem kaum anzumerken. Natürlich ist die Schutzmaske gewöhnungsbedürftig. Ansonsten aber ist die Atmosphäre gelöst, die Abläufe wirken bereits eingespielt. Zwei Tage zuvor habe sich das Team bis ins Detail auf den grossen Moment vorbereitet. «Und auch während der Schliessung haben unsere Leute immer wieder nachgefragt und Unterstützung angeboten, ich habe wirklich ein tolles Team, auf das ich mich verlassen kann», so Lleshi. Und ausnahmslos alle hätten sich darauf gefreut, dass es wieder losgeht.

Vorspeise: Riesenraviolo mit Frischkäse und Eigelb.

Das Team des Jägerhof hat die Zeit des Lockdowns für Renovationsarbeiten genutzt. Der Boden erstrahlt in neuem Glanz, die Fenstersimse wurden auf Vordermann gebracht. Und er habe als Familienvater die unerwartete Zeit mit den Kindern genossen, habe für einmal zuhause mehr gekocht und viele Stunden mit dem Nachwuchs im Wald und im Garten verbracht. Und Lleshi betätigte sich zudem als Tortenbäcker auf Bestellung, rund 20 Torten habe er bis zu den Ostern kreiert. Ganz konnte er es offenbar doch nicht lassen, Dritte zu verwöhnen.

«Für mich war immer klar, dass wir am 11. Mai wieder öffnen», sagt Lleshi. Er sei Unternehmer, er fand, er müsse das einfach in Angriff nehmen und Erfahrungen sammeln mit der neuen Situation. Einzelne Veränderungen hat er vorgenommen. Statt wie früher zwei Abendmenüs setzt er nun auf ein Menü sowie «à la carte». Damit wolle er den Besuch des Jägerhof auch den Leuten ermöglichen, die nach dieser Zeit vielleicht stärker aufs Geld achten müssen und statt eines Siebengängers einzelne Gänge geniessen wollen. Und auf die geplanten vier Wochen Sommerferien werde er auch verzichten, um die entgangenen Wochen aufzuholen.

Hauptgang: Gebratener Zander mit Diepoldsauer Spargeln.

Wir entscheiden uns für den Businesslunch, wobei wir das Desset auslassen müssen. Agron Lleshi gehört zu den Spitzenköchen, bei denen man auch wirklich satt wird. Und vielleicht muss man sich auch als Gast zuerst wieder an den Luxus mehrerer Gänge gewöhnen.

«Grossmutters Küche neu interpretiert»: So umschreibt Agron Lleshi seine Arbeit. Eine einfache, ehrliche Küche, bei der man weiss, was auf dem Teller liegt – aber mit viel Raffinesse umgesetzt. Seine ursprüngliche Positionierung und sein Konzept haben ihm die Situation wohl erleichtert, wie er selber weiss. «Es ist für uns einfacher als für viele andere Restaurants, den Abstand zwischen den Tischen einzuhalten», so Lleshi, «und wir können wirtschaftlich arbeiten, wenn unsere acht Tische besetzt sind.» Diesbezüglich sehe es gut aus, gleich nach Ankündigung der Wiedereröffnung seien Reservationen eingegangen – wohl auch dank der treuen Stammkundschaft, die über 80 Prozent der Gästeschar ausmacht. «Die Leute haben förmlich darauf gewartet, dass es wieder losgeht», ist er sich sicher.

Hauptgang: Lammnierstück auf Senfpolenta.

Für den ersten Tag nach dem Zwangsstopp habe er bei den Menüs genau so geplant wie zuvor. Einzelheiten mögen dem wiederkehrenden Gast auffallen. Beispielsweise die Pralinenauswahl, die früher auf einer grossen Platte angeboten wurde, von der man sich bedienen konnte. Das ist angesichts der Pandemie derzeit nicht möglich, die einzelnen Pralinen werden auf einem Tellerchen klassisch serviert.

Aber ansonsten ist der Jägerhof in St.Gallen vermutlich eines der Restaurants, die von ihrer Ausrichtung her am besten mit der neuen Situation umgehen können. Die Qualität der Speisen und die Ästhetik auf den Tellern ist jedenfalls mit Sicherheit nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Der erste Lokalbesuch, der nach Wochen der gastronomischen Zwangspause wieder möglich war, war ein Fest für die Sinne. Und es wurde deutlich, dass das Essen auswärts eben ein Erlebnis ist, das fehlt, wenn es wegfällt. Vielleicht hat uns das Ganze also im Sinn der vermehrten Wertschätzung also sogar gut getan. Aber wiederholen müssen wir den Lockdown dennoch nicht.

Pralinen zum Abschluss.

Quelle: Die Ostschweiz