Hier wird das Essen zum Ritual und die einzelnen Gänge wirken wie ein Kunstwerk.
Spitzenköche wie Agron Lleshi setzen einen Kontrapunkt zu unserer schnelllebigen, gehetzten Welt. Sie zelebrieren Kochkunst als Ritual, als Ode an die Entschleunigung und der Achtsamkeit. Fast jede Gabel, jeder Löffel wird zu einem kulinarischen Erlebnis.
Alle haben ihm das vielleicht nicht zugetraut. Doch Agron Lleshi hat die Skeptiker Lügen gestraft. Lange hat der Chef des “Jägerhofs” nicht gebraucht, um aus dem Schatten von Vorgängerin und Starköchin Vreni Giger zu treten. Was er auftische, gehöre in der Ostschweiz bereits zur Champions League, schwärmte der “Gault-Millau” in seiner jüngsten Bewertung und verlieh Lleshi 16 Punkte. Wer beim 33-jährigen gebürtigen Kosovaren einkehrt, der zuvor sechs Jahre lang die rechte Hand von Giger war, merkt schnell, dass diese Lobeshymnen nicht übertrieben sind. Das wunderbar abgerundete Gesamtbild fängt bei der herzlichen Begrüssung an, geht über zu den verschiedenen äusserst schmackhaften Sorten Brot aus der eigenen Backstube und hört irgendwann auf beim üppig bestückten, umwerfenden Pralinentablett, das zum Espresso gereicht wird.
Ausgefeilte Präsentation
Die Speisen schmecken köstlich. Noch Tage später befinden sich einzelne Gänge in der kulinarischen Erinnerung, als wären sie erst gerade aufgetischt worden und als würde man sich nichts sehnlicher wieder wünschen. Wie beispielsweise die Kartoffel-Trüffelsuppe mit Kalbstatar, die getrüffelten Jakobsmuscheln auf Wurzelgemüse mit Krustentierschaum, der Rehrücken mit Griess-Marroni-Sauerkirschen und Mandelschaum oder das legendäre Trüffeltöpfli mit seiner raffinierten Leichtigkeit. Die ausgefeilte Präsentation der einzelnen Gänge mit den ausführlichen Erklärungen der Gastgeber wirken wie ein Kunstwerk.
Der Anspruch von Lleshi, aus einfachen Zutaten hervorragende Gerichte zu machen, wird bei jedem Gang ersichtlich. Der Küchenchef bietet mit seinem eingespielten Team abends jeweils zwei Menus an: “Aus der Region” und “Aus der Ferne”. Die einzelnen Bestandteile lassen sich variabel zusammenstellen und sind von zwei (80.-) bis sieben Gängen (155.-) erhältlich. Wir wählten drei beziehungsweise vier Gänge und waren rundum zufrieden, auch wenn wir gerade vom exzellenten Rehrücken noch so gerne eine etwas grössere Portion gegessen hätten. Sicher ist: In einem Restaurant wie dem Jägerhof muss man sich Zeit lassen. Vom Gruss aus der Küche bis zum letzten selbstgemachten Praliné vergingen an unserem Abend weit über vier Stunden. Und das wie im Flug.
Dabei setzen Spitzenköche wie Agron Lleshi einen Kontrapunkt zu unserer schnelllebigen, gehetzten Welt. Sie zelebrieren Kochkunst als Ritual, als Ode an die Entschleunigung und der Achtsamkeit. Fast jede Gabel, jeder Löffel wird zu einem kulinarischen Erlebnis. Das hat seinen Preis, ermöglicht aber eine ausgedehnte abendfüllende Erfahrung, die es nicht an vielen Orten gibt.
Jürg Ackermann
A – Wochenzeitung St.Galler Tagblatt vom 8. November 2018